Zimperlich sind sie wahrlich nicht, die Lacrosse-Spieler vom ABV Stuttgart. Training auf der Degerlocher Waldau, ein kühler Herbstabend, beginnender Nieselregen. Sei’s drum. Wer Lacrosse spielt, läuft viel. Wer viel läuft, dem wird es warm. „Wir spielen auch im Winter draußen. Im Zweifel müssen wir halt das Spielfeld frei schippen“, sagt die Sportwartin Julia Marte und lacht.
Viel hat sich getan, seit das Spiel mit der Netztasche am Stock – „la crosse“, französisch für Krummstab – und einem Ball irgendwo an der Ostküste der USA von den Ureinwohnern erfunden wurde. Die Indianer nannten es „Baggataway“, was so viel heißt wie „der kleine Bruder des Krieges“. Wettkämpfe mit teilweise über 1000 Spielern wurden oft über mehrere Tage ausgetragen. Um die Stärkung des Teamgeists ging es dabei – es war aber auch eine Form der Kriegsführung oder ein Weg, Streitigkeiten zu schlichten. Welch schöner, allerdings auch utopischer Gedanke, politische Konflikte ließen sich auch heute noch auf eine solche Weise lösen, mit Lacrosse-Stöcken statt mit Raketen, Bomben und sonstigen High-Tech-Waffen.
In Deutschland wird Lacrosse zumeist in der Nähe von Universitäten ausgeübt. „Es geht durchaus auch, erst im Uni-Alter mit dem Sport anzufangen, wenn man Grundlagen aus anderen Teamsportarten mitbringt“, sagt Julia Marte. „Kein Fehler, wenn man eine gute Koordination von Arm und Auge hat – und natürlich eine gewissen Grundathletik.“ Immerhin gilt Lacrosse als der schnellste Mannschaftssport überhaupt.
Dabei unterscheidet sich die weibliche Variante immens von der männlichen. Männer-Lacrosse-Spieler sind dick gepolstert mit Helm, Handschuhen, Tiefschutz und Ellenbogenschützern. Schläge auf die Hände und den Stick des Gegners sind bei ihnen genauso erlaubt wie eishockey-ähnliche Körperchecks. „Und der Torwart hat noch ein paar Polster mehr“, erklärt Johannes Somfleth, Abteilungsleiter, Schiedsrichter und Verteidiger im ABV-Bundesligateam. Die Keeper pushten sich, wer härter ist. „Man muss schon einen Knall haben, durchaus positiv gemeint, wenn man sich den Bällen in den Weg stellt, die mit bis zu 160 Stundenkilometern angeflogen kommen“, sagt Somfleth.
Dynamik, Technik, Taktik, Zweikämpfe, das ist die Faszination beim Männer-Lacrosse. „Dazu kommt noch, dass man ja durch den vergitterten Helm eine teilweise eingeschränkte Sicht hat“, sagt der Spielertrainer und einstige Nationalspieler Alexander Frey.
Bei den Frauen ist dagegen Körperkontakt eigentlich nicht erlaubt. Eigentlich. Und die Schläger sind wesentlich flacher bespannt als bei den Männern. Dadurch erfordert es mehr Geschick, den Ball zu tragen und zu passen. Zahnschutz ist Vorschrift, Drahtbrille empfohlen. „Angst sollte man keine haben“, sagt Isabell Bury, die im Frauenteam des ABV Stuttgart aktiv ist.
Beiden Varianten ist gemein, dass man blaue Flecke abkönnen und auch sonst hart im Nehmen sein muss. Gespielt wird seit dieser Saison mit jeweils zehn Akteuren auf dem Feld. Die Spielzeit: viermal 15 Minuten. Ziel der Sportart ist es, wieder olympisch zu werden, so wie schon einmal vor mehr als hundert Jahren.
Die Zahl der Lacrosse-Anhänger steigt. „Mit rund 60 Mannschaften in Deutschland befinden wir uns zwar am äußersten Rand der Randsportarten“, sagt Johannes Somfleth. „Aber es wird immer professioneller, auch wenn wir hier bei uns im Verein im Gegensatz zu anderen Teams absichtlich auf professionelle Trainer aus dem amerikanischen Raum verzichten.“
Als Plus sieht Somfleth den gelebten Zusammenhalt der Akteure, das Familiäre, beim ABV Stuttgart auch mit dem Hauptverein. „Wir haben hier eine tolle Heimat gefunden, teilen uns regelmäßig die Kunstrasenfläche mit den Fußballern. Der Hauptverein hat uns die Ballfangnetze erhöht, extra Linien auf dem Kunstrasen aufgebracht, und wir haben gute Trainingszeiten. Es heißt nicht umsonst, dass ABV für Allerbeste Vreunde steht“, sagt Somfleth und lacht.
Doch auf dem Spielfeld beharken sich diese besten Freunde mächtig. Es geht erst um Raumgewinn, bevor man sich den Ball schnappt, um diesen im 1,83 mal 1,83 Meter großen Tor unterzubringen, welches wie beim Eishockey nicht direkt an der Grundlinie steht. „Konkurrenzdenken ist schon da. Aber wenn jemand nach Stuttgart kommt, dann macht er halt bei uns mit. Ich selbst war bereits in drei verschiedenen Teams in Deutschland aktiv. Man findet sofort Anschluss“, erzählt Isabell Bury.
Andere Zeiten als damals auf der Prärie. Da haben sich nur Männer um den selbst gebastelten Ball aus Knochen, Fell oder Holz gebalgt. Die Frauen waren noch anders aktiv – sie haben die Männer während des Spiels mit Ästen und Ruten geschlagen, um diese anzustacheln.